Hundeschule Perroango
Persönlichkeits- & Kommunikationstraining und Verhaltensberatung
© Perroango 2011
Auf der Jagd nach dem großen Gefühl
Unerwünschtes Jagdverhalten
von Nadin Matthews /www.dogument.de
Waren Sie schon mal verliebt? Erinnern Sie sich an das Gefühl der Euphorie? Wie Sie dämlich grinsend durch die Welt liefen, kaum essen konnten,
zu einem vernünftigen Gespräch nicht in der Lage waren, dafür aber vor Energie fast geplatzt sind? Sie haben ihren Körper noch nie in diesem
Ausnahmezustand erlebt? Dann werden Sie auch nieeinen jagenden Hund verstehen!
Im Rausch
Jedes Mal, wenn Sie versuchen Ihre beste Freundin anzurufen, antwortet sie mit hoffnungsvoller Stimme. Doch sie erwartet nicht Ihren Anruf, sondern deneines
anderen Menschen. Sobald klar ist, dass es „nur“ Sie sind, schleicht sich eine kaum verhohlene Enttäuschung in ihre Stimme. Ihre Freundin ist verliebt, ihr
Fokus liegt jetzt ganz woanders. Essengehen mit ihr ist ein Ding der Unmöglichkeit, sie bekommt keinen Bissen herunter. Themen, die sich nicht um den von ihr
begehrten Menschen drehen, sind völlig uninteressant. Gemeinsame Pläne spielen keine Rolle mehr. Zu keinem klaren Gedankenfähig, zu keiner Arbeit in der
Lage, wartet sie nur auf den Moment, ihn wiederzusehen. Ihr ganzer Körper spielt verrückt.
Vorübergehende Verrücktheit
Genau das ist es, was passiert, wenn Menschen sich verlieben. Eine italienische Psychologin beschrieb das Verliebtsein einst als eine Form von
„vorübergehender Verrücktheit“: beim Anblick des geliebten Objekts weiten sich die Pupillen, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Schuld daran sind
Hormone, in erster Linie der Botenstoff Dopamin. In den Hirnregionen, in denen die Motivations- und Belohnungszentren liegen, steigt der Spiegel des Dopamin
stark an. Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder Schlaf werden unterdrückt. Kein Wunder, dass manche Wissenschaftler die Ansicht vertreten, „verliebte Menschen
sollten krankgeschrieben werden“, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Job ordentlich zu erledigen.
Hormoncocktail mit Suchtgefahr
Und jetzt stellen Sie sich Ihren Hund vor, der gerade jagt. Taub für ihr Gebrüll, Gepfeife oder andere Versuche, ihn zu stoppen, rast er über das Feld, weil er am
Waldrand ein Reh gesichtet hat. Dabei haben Sie doch alles gegeben: besser als jeder Windhund scannen Sie die Umgebung ein und lauschen auf jedes
Knacken im Unterholz. An Stellen, an denen Ihnen schon einmal Wild über den Weg gelaufen ist, versuchen Sie über immer neue Suchspiele den Hund
abzulenken. Sie rufen ihn häufig mit einem lockeren „Hier“ heran, um es nicht nur dann zu tun, wenn es eine schwierige Situation gibt. Das mit der Schleppleine
haben Sie bereits aufgegeben, weil Sie sich vom letzten Jagdversuch ihres Hundes körperlich noch nicht vollständig erholt haben. Und dann kommt es doch:
das Reh - und aus Ihrem „Hier“ wird ein hektisches „HIIIIIIER“, woraufhin Ihr Hund direkt den Kopf hochreißt und beim Erblicken des Rehs auch schon loshetzt.
Die Disc-Scheiben in Ihrer zitternden Hand erzielen diesmal sogar einen Körpertreffer. Doch als wäre er aus Stahl, prallen die Scheiben am Hund ab. Selbst die
sonst so geliebte Fleischwurst, für die er normalerweise alles tut, halten Sie jetzt wie eine abgewiesene Einladung in Ihrer Hand. Er hat sich entschieden: gegen
die Wurst, für das Reh. Während sie noch darüber nachdenken, was für ein treuloses Tier Sie seit Jahren durchfüttern, sich ärgern, dass wir in Deutschland viel
zu viel Wild haben, wütend am Wegesrand stehen und sich schwören, ihn ab morgen (sollte er denn wiederkommen) nicht mehr abzu
leinen, passiert im Körper ihres Hundes etwas ganz anderes. Etwas, das dem Verliebtsein des Menschen sehr ähnelt. Auch bei ihm wird ein Hormoncocktail
ausgeschüttet, der Suchtgefahr beinhaltet.
Unerreichbar dank Dopamin
Dieser Cocktail, bei dem auch wieder das Dopamin eine entscheidende Rolle spielt, bewirkt ein Hochgefühl, körpereigene Opiate machen dabei
schmerzunempfindlich. Es ist ein Feuerwerk der Hormone und lässt den Hund wie besessen erscheinen. Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck
steigt, durch die Vergrößerung des Lungenvolumens und durch die starke Durchblutung wird der Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgt, um die maximale
Leistungsfähigkeit zu erreichen. Nichts anderes mehr wahrnehmend,
erinnert selbst der Blick an den eines Verliebten. Unterschiedlicher können die Empfindungen zwischen Hund und Halter in diesem Moment nicht sein: der eine
im Taumel der Glückseligkeit, der andere voller Sorge. Denn Sie warten ja noch immer, er ist mittlerweile außer Sicht und ausgerechnet jetzt hören Sie einen
Schuss und das Quietschen von Autoreifen. Von dieser Sorge getrieben senden Sie wie ein Radargerät alle dreißig Sekunden ein „Hier“ als Information für den
Hund, dass Sie noch da sind. Falls er überhaupt irgendetwas hört, kann er sich sicher also sein, dass Sie auf ihn warten. Einfach ins Auto steigen und
wegfahren wäre sicherlichsinnvoller, wenn da nicht die Straßen wären und die Angst, dass ihm etwas passieren könnte.
Menschen sind schlechte Jagdbegleiter
Minuten vergehen (gefühlt sind es Stunden) und dann sehen Sie ihn: abgekämpft trabt er auf Sie zu, während Sie eine schnelle Gefühlswandlung durchleben.
Die Sorge weicht der Erleichterung, direkt gefolgt von Wut. Leider sind Hunde sind neben ihren jagdlichen Fähigkeiten sehr talentiert im Deuten menschlicher
Körpersprache. Ihre hervorspringende Halsschlagader erkennt Ihr Hund auf mindestens fünfzehn Meter und antwortet mit Demutsverhalten. Auf den
Brustwarzen kriechend und mit angelegten Ohren kommt er auf Sie zu. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, er wüsste, dass er etwas falsch gemacht hat.
Eigentlich ist es aber nur ein Indiz dafür, dass er sich nicht mehr im Jagen befindet, zur normalen Kommunikation fähig ist und dadurch Ihre drohenden Signale
richtig interpretiert. Ansonsten würde er wild hechelnd und mit leicht irrem Blick auf Sie zu und dann an Ihnen vorbeilaufen, um weiterzujagen. Sie konzentrieren
sich ein letztes Mal und zwingen sich die mittlerweile übel riechende Fleischwurst aus der Tasche zu ziehen, mit zusammen gepressten Zähne quetschen Sie
sich ein „So ist fein“ heraus und belohnen ihn für sein Zurückkommen. Warum auch immer, schließlich ist er erst gekommen, als er fertig war und das nur, weil
er nicht allein im Wald leben möchte. Sie wundern sich, warum er Ihnen das immer wieder antut. Er fragt sich, warum Sie sein Hobby nicht teilen.
Nicht nur eine Frage der Erziehung
Eventuell haben Sie trotz aller Wut auch Verständnis für Ihren jagenden Hund. Schließlich jagt er nicht, um Sie zu ärgern oder weil er Sie nicht ernst nimmt.
Jagen ist nicht unbedingt ein soziales Problem und lässt auch keine Rückschlüsse auf die Erziehung zu. Da können Hunde noch so gut im Alltag kooperieren,
stundenlang vor dem Supermarkt ohne Leine liegen und warten, zuhause unauffällig und ruhig sein, mit Kindern lieb und auf dem Agility-Platz ein As sein: wenn
eine jagdliche Situation entsteht, läuft bei manchen Vierbeinern das genetisch fixierte Programm ab. Hormongesteuert sind sie gar nicht in der Lage, anders zu
reagieren. Wissenschaftlich lässt sich das ganz einfach erklären. Der körpereigene Cocktail versetzt den Hund in eine geradezu zwanghafte Situation,
hinterherhetzen zu müssen und belohnt ihn mit einem rausch
ähnlichen Zustand. Aber man muss gar nicht einmal die Wissenschaft bemühen, um das Verhalten ihres Hundes zu erklären. Manchmal reicht es auch, einem
von der Hatz gerade zurückkehrenden Hund ins Gesicht zu schauen. Dieser Ausdruck in den Augen, die langgezogenen Mundwinkel: das pure Glück schäumt
Ihnen da entgegen.
Auf der Jagd
Vielleicht hatten Sie ja schon ein - oder zweimal die Chance, das Reh früher als ihr Hund zu sehen, ihn anzuleinen und damit das Schlimmste zu verhindern.
Doch das hechelnde Wesen am anderen Ende der Leine dann noch dazu zu bringen, sich auf Sie zu konzentrieren und das Wild keines Blickes zu würdigen,
ist eine ganz andere Sache. Denn wenn ihn die Hormone schon durchströmen, dann ist er für Ihre Anliegen kaum noch zugänglich. Oder haben Sie mal
versucht, einen verliebten Menschen von der Notwendigkeit einer nur dreitägigen Reise zu überzeugen, die ihn oder sie vierhundert Kilometer weg vom
geliebten Objekt führen würde? Keines ihrer Argumente, die teuren Stornokosten, die Vorfreude, die man monatelang
über das bald anstehende verlängerte Wochenende teilte, der Hinweis auf die Freundschaft, die bei einer Absage schwer geschädigt werden würde...
Nichts wird den von Dopamin durchfluteten Menschen dazu bringen, doch noch mitzufahren. Nicht einmal, wenn noch gar nicht klar ist, dass das ganze ein
glückliches Ende nehmen wird, der oder die Verliebte möglicherweise drei Tage unverrichteter Dinge nur seine leere Mailboxabhören kann, nichts wird ihn von
der Nähe des begehrten Menschen entfernen. Und nun erklären Sie ihrem Hund mal, dass das mit dem Reh keine gute Idee ist. Dass es im Falle einer Hatz
zwei Tage kein Futter und fünf Tage keinen langen Spaziergang mehr gibt. All das wird ihn nicht vom Jagen abhalten. Er kann nicht anders, er ist auf der Jagd,
nicht nach Nahrung, sondern nach dem großen Gefühl. So wie wir alle.
Leidenschaft lässt sich nicht abstellen
Das ist der Grund dafür, dass die meisten Erziehungs - und Unterbrechungsmethoden bei einem jagenden Hund nicht dazu führen, dass er nicht mehr jagen
will. Sie können niemanden ausreden, verliebt zu sein.
Denn es ist keine vom Verstand zu steuernde Entscheidung, die da gefallen ist. Wir kriegen das Jagdverhalten nicht aus einem Hund heraus, schließlich haben
wir es auch nicht hineingetan. Was bleibt, klingt nüchtern: Jagdverhalten lässt sich allenfalls kontrollieren, aber der Wunsch danach nicht abstellen. Realistisch
ist der Anspruch auf Kontrolle über das Jagdverhalten, also ein lebenslanger Reibungsprozess mit dem Hund. Es wird ein Kampf gegen seine Genetik und
gegen die Hormone bleiben. Und gerade die werden es Ihnen nicht leicht machen, mit einem Ruf noch in den Kopf Ihres Hundes zu kommen. Dazu gehört
einiges an Vorarbeit, das Trainieren in realistischen Situationen und ein gutes Timing. Deshalb ein letzter Tipp: Wenn Sie gerade selbst verliebt sind, lassen Sie
Ihren jagenden Hund besser an der Leine. Es sei denn, Sie haben es auf den Förster abgesehen.
Ich freue mich auf Ihren Anruf!